Immer stärker werden öffentliche Aufgaben und Angebote für Bürger*innen digital zur Verfügung gestellt. In Zeiten der Corona-Pandemie wird der Zugang zu Impfterminen, Testmöglichkeiten, Kultur- und Verkehrsangeboten und vielem mehr, auch in Hamburg überwiegend über Smartphone und PC abgewickelt.
Immer mehr gesellschaftliche Prozesse werden digital ausgestaltet, Menschen „vernetzen“ sich zunehmend. Der unbestreitbare Vorteil ist, dass Vorgänge und Abläufe beschleunigt, konkrete Wege zu Ämtern und Behörden verkürzt werden – es entsteht ein Korridor an Lebenszeit, der anderweitig genutzt werden kann.
Die Kehrseite der Medaille ist, dass viele ältere Menschen weder über die Kenntnisse zur Nutzung der neuen Technik noch über eine geeignete Basisinfrastruktur verfügen — oft auch aus finanziellen Gründen.Ähnlich wie bei den Schulen hat sich zu Beginn der Pandemie herausgestellt, dass viele Einrichtungen und Begegnungsstätten für Seniorinnen und Senioren mangelhaft mit digitaler Infrastruktur ausgestattet sind, die Beschäftigten häufig ebenfalls nicht über die notwendigen Kenntnisse zu neuen Technologien verfügen, noch die alten Menschen im Umgang damit geübt sind.
Der „Digitalpakt Alter“ ist richtig und wichtig
Nach einer Studie des Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2020 wird unter anderem festgestellt, dass „über alle Altersgruppen hinweg der Anteil der Menschen, die einen Internetanschluss im Haushalt haben, mit dem Alter stark absinkt. Sind es im Alter von 65 bis 69 Jahren noch mehr als drei Viertel der alleinlebenden Menschen, die einen Internetanschluss haben, fällt dieser Anteil bei den 75- bis 79-Jährigen auf etwa die Hälfte und liegt bei den über 85-Jährigen nur noch bei 20 Prozent.“
„Wir müssen nicht fragen, ob die Älteren reif für das Internet sind, sondern, ob das Internet reif für die Älteren ist.“
Wird dazu in Relation gesetzt, dass der Anstieg der Lebenderwartung in den vergangenen 30 Jahren um sieben Jahre zugenommen hat und 2019 jede fünfte bzw. jeder fünfte Einwohner Hamburgs älter als 65 Jahre war, zeigt sich die Notwendigkeit, den „Digitalpakt Alter“, einer Forderung der Bundesarbeitsgemeinschaft Senior*innenorganisationen (BAGSO) bereits aus dem Jahr 2019, stärker in den Fokus zu rücken.
Dazu gehört, dass eine ausreichende, digitale Grundversorgung (WLAN, Internet, Geräte) sowohl der alten, Menschen, als auch ihrer Einrichtungen und Institutionen sichergestellt wird und die Erkenntnisse der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu „Age-friendly Cities“ systematisch in die Planung und Realisierung von alters- und alternsgerechten Quartieren eingebracht werden.
Die Digitalisierung muss für alle Nutzerinnen und Nutzer anwendungsfreundlich gestaltet werden, um eine barrierefreie Verwendung möglich zu machen. Die „Silberlocken Altona“ (aka. AG60+) haben zu einzelnen Aspekten Forderungen zur Ergänzung des Zukunftsprogramms der Bundes-SPD, sowie an die Hamburgische Bürgerschaft formuliert.
Hamburg stärkt die digitale Kompetenz der Senior*innen
Die Hamburgische Bürgerschaft hat mit der Drucksache 22/3715 einige dieser Vorstellungen aufgegriffen und arbeitet zurzeit gemeinsam mit der Behörde für Finanzen und der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke an der Umsetzung der „Stärkung der digitalen Kompetenz von Senior*innen“. Im September 2021 sollen erste Ergebnisse vorliegen.
Und was sagt unser Koalitionsvertrag? Hier Auszüge aus dem Koalitionsvertrag, den die Senats-Parteien für die Jahre 2020 bis 2025 geschlossen haben:
„Wir werden den digitalen Wandel weiterhin aktiv gestalten und die Digitalisierung zu einem Schwerpunkt der Legislaturperiode machen. Dabei verstehen wir die Digitalisierung als ressortübergreifendes Querschnittsthema von höchster Bedeutung. Mit der Digitalstrategie für Hamburg hat es ein umfassendes inhaltliches Programm und mit dem Amt für IT und Digitalisierung im Senat eine Struktur bekommen, die dieser großen Aufgabe gerecht werden und eine umfassende Digitalisierungspolitik mit dem Blick fürs große Ganze umsetzen kann. Wo nötig, wollen wir die erforderlichen Kapazitäten dafür ausbauen.
Wir wollen die generationenübergreifende, gesellschaftliche Teilhabe für ältere Menschen sichern. Die Programme zur Förderung innovativer Senior*innenarbeit werden weiterentwickelt und bei Bedarf gestärkt. Dabei werden wir berücksichtigen, dass die Bedürfnisse und Notwendigkeiten abhängig von der Sozialstruktur und sonstigen Angeboten im Sozialraum unterschiedlich sind. Das Ehrenamt in der offenen Senior*innenarbeit wird sowohl qualitativ als auch quantitativ stärker unterstützt. Der Hausbesuch zum 80. Geburtstag wird dauerhaft in allen Bezirken durchgeführt und bedarfsentsprechend weiter entwickelt. Mit unserem Demografiekonzept sind wir auch im internationalen Maßstab vorbildlich und wollen uns mit anderen Metropolen austauschen und vernetzen.“
Software muss „age-friendly“ und anwender*innenorient sein
„Das Demografiekonzept entwickeln wir im Sinne einer „Age-friendly City“ weiter zu einem quartiersorientierten Aktionsplan, der behördenübergreifend umgesetzt wird. Das neu etablierte kleinräumige Demografiemonitoring liefert dabei die Datengrundlage für räumliche Aktionsschwerpunkte. Im Fokus sollen barrierefreies Wohnen und Mobilität, die Nahversorgung sowie die gesundheitliche und pflegerische Versorgung im Stadtteil stehen. Onlineplattformen und Treffpunkte im Stadtteil sollen zur besseren Vernetzung von Nachbarschaftshilfen beitragen.
Bildungsangebote zum Einsatz digitaler Technologien müssen anwendungsorientiert sein und den unmittelbaren Nutzen der Anwendung vermitteln. Bildungsangebote für Ältere dürfen nicht bei der Erläuterung von Geräten und Programmen stehen bleiben, sondern müssen ihren Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität explizit machen und den souveränen Umgang damit vermitteln. So wollen beispielsweise über 90 Prozent der Menschen auch bei zunehmendem Bedarf an Pflege im häuslichen Umfeld verbleiben. Programme, die in die Ausstattung mit digitalen Technologien in privaten Wohnungen investieren, müssen durch Bildungs- und Beratungsangebote begleitet werden. Reflexionsanstöße zur eigenen Planung eines „guten Lebens im Alter“ sollen dazu dienen, dass eigenständig eine Anpassung an neue Bedarfslagen stattfinden kann.“
Berufliche Förderung und und ein Recht auf digitalen Kompetenzerwerb
„Die berufliche Bildung von Fachkräften der Seniorenarbeit in den Kommunen sowie in der sozialen Arbeit muss um Digitalisierungsaspekte erweitert werden. Fachkräfte in unterschiedlichen Berufsfeldern der Seniorenarbeit – zum Beispiel in der Pflege, im Quartier, in Einrichtungen der Seniorenarbeit sollten dazu befähigt werden, die Kompetenzentwicklung älterer Menschen im digitalen Lebensalltag zu begleiten. Ebenso sollte in Studiengängen und in der Ausbildung von Fachkräften die Perspektive von (älteren) Nutzerinnen und Nutzer integriert werden.
Die Technik selbst muss „lernfreundlicher“ werden, vor allem für ältere Menschen. Die Qualität digitaler Produkte muss sich auch an ihrer Lernfähigkeit („Learnability“) messen lassen, daran, wie schnell Nutzerinnen und Nutzer mit ihnen und ihren Oberflächen („Interfaces“) vertraut werden, um ihre Funktionen gut nutzen zu können. Lernfähigkeit ist als ein wichtiges Prüfkriterium in der DIN ISO-Norm 9241-110 (Grundsätze der Dialoggestaltung) etabliert. Daher sollte der Lernfähigkeit entsprechend besondere Aufmerksamkeit zukommen.
Auch bei der Vergabe von Fördermitteln für die Technikentwicklung sollte der Fokus auf lernförderliche Soft- und Hardware gerichtet werden. Wünschenswert wären hier Standards, die Geräte und Oberflächen gleichermaßen nutzbar machen. Hilfsweise könnte ein Gütesiegel die Entwicklung beschleunigen. Lernförderlichkeit von digitalen Medien ist dabei stets mit der Zugänglichkeit digitaler Produkte für alle Menschen, ohne jemanden von ihrer Nutzung auszuschließen („inklusives Design“), in Bezug zu setzen. Im Bereich der Entwicklung digitaler Technologien – also in Informationstechnik und Informatik – ist ein unmittelbarer Einbezug Älterer (etwa im Rahmen von „Participatory Designs“) in den Entwicklungsprozess angezeigt.
Das Wissen um Kompetenzerwerb in digitalen Lernsettings im Alter muss erweitert werden. Es gibt zu wenig evidenzbasiertes Wissen darüber, wie sich ältere Menschen in jeweils unterschiedlichen Lebenssituationen die zur Nutzung digitaler Technologien erforderlichen Kompetenzen am besten aneignen und wie entsprechend verschiedene Lernkontexte zu gestalten sind (selbstgesteuertes Lernen, in der Familie, intergenerationell, von Gleichaltrigen, in VHS-Kursen oder Kursen anderer institutioneller Bildungsanbietern). Im Bereich der Aneignung digitaler Kompetenz ist mehr Forschung erforderlich. Die bestehende (Bildungs-)Ungleichheit darf sich nicht vertiefen.“
Von der Programmatik zur Realität
Der Koalitionsvertrag liest sich vielversprechend. Die Aufgabe von Politik und Senior*innen-Interessenvertretungen, wie zum Beispiel die Bezirkssenior*innen-Beiräte oder die gemeinwohlorientierte Träger der Senior*innen-Arbeit, muss es sein, aus der Programmatik Realität werden zu lassen, damit das Internet reif für die Älteren wird!
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Ilona Schulz-Müller ist Vorsitzende der AG60+ der SPD Altona. Engagiert setzt sie sich für das Thema Digitalisierung und Senior*innen. Sie ist neben Sabine Köster, Bernhard Maurer und Joachim Schoenknecht Vorsitzende des Distrikts SPD Flottbek-Ottmarschen.